Gehalt


                                                                                                                         Ingrid Honneth - Sieglinde will ans Licht, 2003


interne Kritiken & externe


                        2016 - 2020













Ein ästhetisch-soziologischer Blick fürs gesellschaftlich Unbewusste

 

Kritischer Kommentar zur Ausstellung  

 „Die Bechersdie nächste Generation und die Idee der Naturgeschichte" von Andreas Honneth

 

Zur Einführung möchte ich zuerst etwas zum Werk der Bechers sagen, dann zum Konzept unserer Ausstellung und zum Schluss wird Marianne Kapfer, die wir eingeladen haben, mit Ingrid und mir, die Ausstellung zu kuratieren, Euch die ausstellenden Künstler und ihr Werk vorstellen.

 

                                                           „Am schwersten fällt es uns, das zu sehen, was wir vor Augen haben.“ Goethe

 

Die Darstellung von Stätten industrieller Produktion, der Bauten und Konstruktionen der Produktionsmittel lag gerade in der Zeit

des Wirtschaftswunders, also Ende der 50-ziger Jahre weit außerhalb des offiziellen ästhetischen Blickwinkels; sie waren der blinde Fleck dessen,

was als Kunst galt. 

Aber Bernd Becher war fasziniert von den stählernen Riesen seiner Heimat und er schien zu ahnen, dass deren Schicksal besiegelt war. Bereits in den 50-zigern begann mit der Krise im Bergbau ein sog. Strukturwandel – daher sah er es als seine Verpflichtung, die vom Abriss bedrohten Funktionsbauten durch ihre Dokumentation für das Archiv des visuellen Gedächtnisses zu retten.  1959 kam es durch Hilla Wobeser zur Entscheidung für die Photographie als Aufzeichnungsmedium und so konnte sich das Paar dem selbst gestellten Arbeitsauftrag widmen, dies doppelt Verdrängte,

die unbeachteten und vom Abriss bedrohten Leistungen an Arbeitskraft und Erfindungsgeist in all ihrer Vielfalt zu erschließen. Waren sie zunächst von besonders ausgefallenen Strukturen angezogen, so erkannten sie, dass dies nicht ihr Weg war, da die Objektursache ihres Begehrens nur in enzyklopädischer Breite zu erfassen war - dies Fundament des gesellschaftlichen Reichtums, in dem sich die bewusstlose Tendenz der historischen Dynamik niederschlägt: die Maschinen und technischen Aggregate gesellschaftlicher Naturbeherrschung und -Ausbeutung: Fördertürme der Bergwerke, Kokereien, Raffinierien, chemische Anlagen, Kalköfen, Getreidesilos und Wassertürme, aber auch die zu den Industrierevieren gehörende Wohnarchitektur. 

Aber schon 1931 hatte Brecht erkannt, dass die bloße „Wiedergabe der Realität“ in der Moderne nichts mehr über diese aussagt, dass eine „Photographie der Krupp-Werke oder der AEG… beinahe nichts über diese Institute (ergibt)“. Aus dem Grund, dass „Die eigentliche Realität… in die Funktionale gerutscht (ist). Die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich ‚etwas aufzubauen‘, etwas ‚Künstliches‘ etwas ‚Gestelltes‘.“ 

Einen solchen Aufbau, etwas derartig Künstlich-Gestelltes, kurz: eine Technik der Verfremdung entwickelten auch die Bechers als Konzept ihres methodischen Vorgehens; eine ebenso anonyme wie fiktive Bildästhetik, die sich selbst-los in den Dienst ihrer Faszinationsobjekte stellt, um sie im letzten Todesaugenblick vor ihrer Vernichtung in ihrer ganzen überwältigenden Präsenz darzustellen: die Präzision ihres ebenso exakten wie systematischen Vorgehens, ihrer am Vorrang des Objekts orientierten Methode erforderte den Ausschluss jedes störenden Kontextes. Die geradezu fetischistische Isolierung blendet aber nicht nur den sozialen und historischen Hintergrund aus, sondern ebenso die Einma-ligkeit der Begegnung: da jeder Wolkenschatten auf den Objekten vermieden werden sollte und auch der Hintergrund neutral sein sollte, kommt nur das gleichmäßige Licht eines bedeckten Himmels für den Moment der Aufnahme infrage. Auch die Art der Begegnung mit diesen Industriekomplexen war von ritualisierter Vor- und Rücksicht geprägt. Dabei galt es die Aura dieser Gebilde mimetisch zu erspüren: wie bei „exotischen Tieren verlangten sie uns eine allmähliche Annäherung ab, da bei ihnen vorne und hinten nicht zu unter-scheiden war“; dazu erfanden die Bechers Spitznamen, um erste Charakteristika ihres Gegenübers zu benennen – am Ende jedoch erzwangen die Riesen für ihre photographische Abbildung die gebieterische Distanz eines Abstand von 20 – 100 Metern, um sie in ihrer ganzen Ansicht überhaupt erfassen zu können. Zudem erforderte ihre rein phänomenologische Erschließung ohne per-spektivische Verzerrung eine Aufnahme von einem erhöhten Standpunkt aus – der bis zu 10 m ausfahrbaren Leiter ihres Tourenbusses – erst dann konnte das Objekt seine ganze charakteristische Physiognomie entfalten. Das einzige, was aus einer solchen transhumanen Perspektive noch auf unsere Maßverhältnisse verweist, sind die Geländer, die auf nahezu unbewusste Weise die Winzigkeit der menschlichen Proportion erahnen lassen.

Auf die Schwierigkeit der Beschreibung ihrer Erkundungen verweisen die hilflosen Vergleiche der Kommentare, aber was die Darstellungen der Bechers uns präsentieren, indem sie ihre Objekte  durch Überführung in die Zweidimensionalität und durch die Grauwerte der S/W-Abzüge abstrahieren, sind weder Insekten noch polymorphe Organismen, sondern die inneren Organe, Blasen, Adern, Schläuche und Verdauungsaggregate des gesellschaftlichen Stoff-wechsels mit der Natur. Zu „anonymen Skulpturen“ abstrahiert, werden diese jenseits ihrer Funktion in Gruppen und Reihen angeordnet. Versammelt zu sol-chen Tableaus, wo sie auch in der Serie ihre Nichtidentität als Einzelstücke behaupten, wird ihr Formrepertoir für Vergleiche zugänglich: ein solcher enzyklopädischer, an der Phänomenologie der äußeren Erscheinungsformen der Din-ge orientierter Ansatz entspricht dem Begriff der Typologie, wie wir ihn auch aus der Zoologie und Botanik kennen und der nun auf die zweite Natur unserer Zivilisation übertragen und erprobt wird. Die Technik, wie sie sich in 150 Jahren des Industriekapitalismus entwickelt hat, erscheint hier in einem ähnlichen soziologischen Blick wie vor August Sanders Kameraobjektiv die Menschen aus verschiedenen Berufen, Schichten und Klassen. Mit ihrem Konzept einer enzyk-lopädischen Typenkatalog industrieller Strukturforschung schufen sie die Voraussetzung für eine bewusste Rezeption und Auseinandersetzung mit der bislang aus dem Kunstkontext verdrängten Wirklichkeit unserer materiellen Reproduktion.

Bis 1962 waren die deutschen Industriereviere dokumentiert, es folgten Frankreich und die BeNeLux-Staaten, ab 66 England und Wales, ab 68 Nordamerika. Eine über vier Jahrzehnte andauernde Dokumentationsarbeit der Architektur der industriellen Produktionsmittel. Sie wurde 1972 auf der Document 5 gezeigt und erhielt einen Preis für Skulptur auf der 44. Biennale in Venedig. Die Berufung zur Professur an der D’dorfer Akademie erfolgte 1976; Schüler sind u.a.  Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer, Axel Hütte, Andreas Gursky… und hier vertreten sind - Laurenz Berges, Susanne Brothage, Götz Diergarten und Matthias Koch, wie auch die Familienmitglieder Max Becher & Andrea Robins, sowie die Filmerin und Mit-Kuratorin Marianne Kapfer.

 

Nun noch einige Stichworte zum Konzept unserer Ausstellung, das auch etwas über den Taunus Art Club aussagt. Der Versuch den Gehalt des Werks der Bechers durch die Konfrontation dem der von ihnen geprägten nächsten Pho-tographengeneration zu bestimmen, ist ein Experiment, bei dem wir auf ein programmatisches Anliegen des TAC zurückzugreifen, die „Idee einer allegorischen Naturgeschichte“. Unter diesem Titel resumiert Adorno das Arbeitspro-gramm, das er 1923 in Königstein mit seinem Freund und Mentor Walter Benjamin vereinbart hat: eine Kritische Theorie der Gesellschaft aus der Sicht der Avantgarde - bei ihm war es die Atonale Musik, so bei Benjamin der Surrealismus. Auf dieses Denkereignis im Taunus bezieht sich der Vereinsname des TAC, denn es bietet eine Perspektive für die Philosophie als allegorische Deutung zweiter Natur die Aktualität einer gesellschaftskritischen Vision des Ästhetischen auf die Probe zu stellen. D.h. Naturgeschichte hat hier also nicht mehr seine traditionelle Bedeutung als hierarchische Gliederung des Pflanzen- und Tierreichs mit dem Menschen als Gipfel der Schöpfung, sondern wird kritisch und ironisch eingesetzt als Chiffre für den doppelten Bezug auf zwei damals besser ungenannt bleibende Theoretiker: Marx und Freud; sie steht jetzt für die kritische Intention des Ästhetischen die "Kritik der politischen Ökonomie" und die Psychoanalyse als Diagnose eines "Unbehagens in der Kultur" zur Indifferenz zu bringen: nämlich zur Anamnese und Therapie eines gesellschaftlich Unbewussten,

eines zum Verblendungszusammenhang gewordenen gesamtgesellschaftlichen Status Quo,

der mit dem Irrationalismus seines fetischisierten Wachstums angesichts begrenzter Ressourcen des Planeten

ins Stadium objektiven Wahnsinns eingetreten ist. 

Eine in ihrer scheinbar alternativlosen Selbstverständlichkeit zur "zweiten Natur" verdinglichte Zivilisation versucht die sich als Kritik aktualisierende Philosophie im Medium der als Ausdrucksform geretteten Allegorie  durch Deutung ihrer gesellschaftlichen Physiognomie wieder transparent und aufs neue veränderbar zu machen. 

 

Die photographische Dokumentationsarbeit der Bechers, ihre nach quasi-wissenschaftlichen Kriterien erfolgte Bestandsaufnahme der Dinosaurier des In-dustriezeitalters aus allen westlichen Industrierevieren ist daher im Besonderen prädestiniert, die Idee der Naturgeschichte, wie die Frankfurter sie verstanden, zu belegen  - eben jene Unbewusstheit, mit der die gesellschaftlichen Produktionsformen hinter dem Rücken

der von ihnen vergesellschafteten Menschen sich mit scheinbar naturgesetzlicher Notwendigkeit wie naturgeschichtliche Zeitalter nacheinander abzulösen, ironisch als Sozialdarwinismus bloßzustellen, um den Schein solcher Notwendigkeit zu entlarven.  

Was die Arbeiten der Bechers, wie ihrer Nachfolger auszeichnet, ist das, was Adorno als "Vorrang des Objekts" bezeichnet: der bei bildender Kunst oft in den Hintergrund tretende, also nur implizit anwesende, durch die pseudo-individualistische Künstlerideologie überblendete und erst im eindringendem Mitvollzug kritischer Auseinandersetzung mit den Werke und ihrer Genese deutlich wer-dende Gehalt der Werke. Wie Adornos Ästhetische Theorie den Erkenntnischarakter der Kunst in den Fokus rückt, so steht auch in der durch die Becherschule geprägten Photographie nicht die Subjektvität des Künstlers im Vordergrund, sondenr das im Ausdruck der Werke sedimentierte Sachhaltige, von dem sie durchdrungen sind und zu deren Medium die Subjektivität des Künstlers wird und so die subjektiv vermittelte Objektivität der Werke ermöglicht.

In der Zusammenschau mit den Werken ihrer Nachfolger liefert das der Bechers den eindringlichen Beweis der "Ankunft des Menschen im Anthropozän" (Schellnhuber); zusammen visualisieren sie, daß wir in jenes Zeitalter eingetreten sind, in dem der Mensch zum bestimmenden Umweltfaktor wurde, allerdings nicht mehr für die dadurch ausgelösten unbeabsichtigten Collateralschäden. Die ausgewählten Photographien zeigen eindrucksvolle Beispiele für die historischen Abdrücke der Macht, welche durch die Schwerindustrie ebenso wie durch den Tourismus bei Diergarten und Brodhage in der Landschaft hinterlassen wurden, aber zugleich rücken als  Antithese zum Werk der Bechers nun bei Berges oder bei Koch mit dem Ende des Industriezeitalters deren vergänglichen Relikte, ihre Ruinen in den Vordergrund. 

Mit ihnen kommt es im Moment der so exponierten Vergänglichkeit zum allegorischen Einstand von Natur und Geschichte, so dass das bislang antithetisch Getrennte füreinander durchlässig und übersetzbar wird.  Stellt sich Natur im Vergehen als Geschichte dar, so verwandelt sich das Historische als Gewesenes  zurück in Natur. Damit werden ihre Arbeiten zum Memento einer Endlichkeit, die uns angesichts der scheinbaren Naturwüchsigkeit der Geschichte daran erinnert, dass die Natur nicht nur Objekt von Ausbeutung ist, sondern der eigentliche Agent dieser Veränderungen bleibt, die sich mit dem sog. Anthropozän einstellen. Susanne Brodhages Islandbilder zeigen zwar die touristische Zudringlichkeit von Gletscherbesuchern, andererseits aber auch die majestätisch-erhabene Überlegenheit der Natur. 

Wäre aber Corona die erste Pandemie, die von der Menschheit beherrscht werden könnte, so öffnete dies die Möglichkeit, dass wir auch die durchs An-thropozän ausgelöste Klimakrise abwenden könnten und die Menschheit durch eine solche globale Weltinnenpolitik überhaupt erst ein Selbstbewusstsein ihrer selbst erlangen könnte, so dass sie erstmals als autonomer Agent und ein stellvertretend für die Natur handelndes neues Geschichts-Subjekt aus ihrer Unbewusstheit und verblendeten Rücksichtslosigkeit erwachte, durch die sie mit ihrer Plünderung des Planeten das Anthropozän verursachte.

Max Bechers und Andreas Robins Bilder von einer Indianer-Aktion in Dakota demonstrieren paradigmatisch, wie diese dagegen vorgehen: um die Ausbeu-tung ihres Reservats durch einen Ölkonzern zu verhindern, haben sie mit ihren Tipis den Ort, die die Pipeline eines Ölkonzerns durchqueren soll, besetzt. Solcher dezentrale Widerstand ist solidarisch mit Natur im geschichtlichen Augen-blick, da wir uns durch Corona unserer "Ankunft im Anthropozän" bewusst werden und damit unserer Verantwortung, alles zu tun, die Spuren unserer Anwe-senheit auf diesem Planeten zu minimieren, um eine Rückkehr ins Pleistozän, in die Erdneuzeit, noch zu ermöglichen.

 

                                                                                                                                            Bad Soden, den 2./3. 10. 2020

 

                                                                                                             

Ich möchte noch auf eine Lesung verweisen die hier im Rahmen der Ausstellung stattfinden wird: der Reiner Stach führt uns in sein große Kafka-Biographie ein und zwar – bitte vormerken - am Freitagden 23.10. um 19 Uhr.

Eine Anmerkung: Die Becher haben zwar aufgehört Strommasten zu photographieren, weil sie, wie US-amerikanische Hochhäuser, nur unten und oben etwas hergeben, während in der Mitte - zu schmal, zu dünn - zu wenig passiert; – daß sie trotzdem einen ganz besonderen Reiz ausstrahlen, vermitteln die Arbeiten Ingrid Honneths, die hier als weiterer Salut an die Bechers ausgestellt werden. 

 

Nun aber zu Marianne Kapfer, die sich ja nicht selber vorstellen kann: 

sie ist eine Nichte von Hilla Becher. Wir haben sie als Filmemacherin in Dover kennengelernt, wo sie für Dover Arts Developement den Film „Watermark“ herstellte, die Geschichte der Schliessung einer bekannten Papierfabrik. Davor hat sie einen Film über die Bechers gedreht. aber sie kuratiert auch eigene Ausstellungen in Berlin, ist Autorin eines Theater-Stücks, das sie gerade inszeniert hat und hat als Photographin mit ihrer hier gezeigten Arbeit einen Traum der Bechers erfüllt, die ihnen damals unzugänglichen Industriegebiete der UdssR zu besuchen: in diesem Fall eine Uran-Mine mit angeschlossenem Arbeitslager weit weg in Sibirien an der mongolisch-chinesischen Grenze.



Ein freundlicher Artikel aus dem Höchster Kreisblatt von David Schahinian,

aber auch zu unserer Bürgerinitiative gibt es gute Nachrichten in der Bad Sodener Zeitung vom 14. 10.,

wozu wir allerdings bemerken möchten, daß wir niemanden um sein Erbe bringen wollen, 

denn "erben" bedeutet mehr als nur einen Scheck aufs Konto zu erhalten,

sondern man muß sich dem Erbe auch gewachsen erweisen, d.h. Verantwortung dafür übernehmen,

ganz besonders bei einem so speziellen Erbe wie dem "Hubertus", um es für eine neue Zeit zu transformieren. 



                                                                                                                                                                                                             bureau@tac-online.eu 

                                                                                           

                                                                                                                                                                                                             info@taunus-art-club.eu